Burg Angern
Die um 1341 gegründete Burg Angern bewahrt in seltener Geschlossenheit die originale Bau-, Erschließungs- und Verteidigungsstruktur einer hochmittelalterlichen Wasserburg.

Die östliche Außenwand des Palas der Burg Angern stellt einen bauhistorisch signifikanten Befund dar, der entscheidende Hinweise auf die funktionale Organisation und die differenzierte Bauweise der hochmittelalterlichen Gesamtanlage liefert. Sie bildet die Rückwand eines tonnengewölbten Erdgeschossraums, der unmittelbar an den wasserführenden Graben grenzt und durch den südlich anschließenden Bergfried flankenartig gesichert war. Die Wandstruktur verkörpert typische Merkmale eines wirtschaftlich genutzten, nicht-repräsentativen Funktionsbereichs innerhalb eines hochmittelalterlichen Burgsystems des 14. Jahrhunderts.

Befund D1: Ostwand des Palas der Burg Angern

Lage und Kontext: Der untersuchte Mauerabschnitt bildet die östliche Begrenzung des Palas auf der Hauptburginsel. Die Position an der Grabenflanke macht ihn zugleich zu einem geschützten, aber baulich exponierten Bauteil der Gesamtanlage. Die Wandstruktur ist durch aktuelle Fotografien sowie historische Abbildungen (u. a. Duncker-Stich) dokumentiert. In der unteren Hälfte ist sie bis zur Fundamentzone freigelegt.

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Außenansicht der Fensteröffnung mit östlicher Außenmauer des Palas am nördlichen Gewölbe

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Außenansicht der östlichen Außenmauer des Palas mit Fenstern  - Stich von Duncker

Maueraufbau und Bauphasen:

  1. Mittlerer Abschnitt (Fensterzone): Dieser Abschnitt besteht aus unregelmäßigem Bruchsteinmauerwerk mit lagerhafter Schichtung. Als Bindemittel dient ein kalkreicher Mörtel mit mineralischen Einschlüssen. Die Struktur ist homogen; der segmentbogig überwölbte Fensterdurchlass mit hochkant gesetzten Ziegellaibungen ist original erhalten. Korrosionsspuren an der inneren Laibung deuten auf ein bauzeitliches Sicherungselement hin (z. B. Gitter).

  2. Nördlicher Abschnitt: Das Mauerwerk ist hier regulärer geschichtet, mit kleineren Steinformaten und feinerem Mörtel. Eine vertikale Trennfuge mit leichtem Versatz zum mittleren Abschnitt sowie das sporadische Auftreten von Backsteinfragmenten sprechen für eine frühneuzeitliche Reparatur.

  3. Südlicher Abschnitt: Hier ist eine Dreigliederung sichtbar:

  • Unterbau: Großformates Bruchsteinfundament (hochmittelalterlich)
  • Mittelzone: horizontales Backsteinmauerwerk (frühneuzeitlich, Aufstockung oder Hofniveaueingriff)
  • Oberzone: verputztes Mauerwerk mit rechteckigen Fensteröffnungen (19./20. Jh.)
    Zusätzlich: Eine segmentbogige Backsteinöffnung im unteren Bereich verweist auf spätere Umgestaltung.

Wandstärke und Funktion: Die durchschnittliche Wandstärke beträgt ca. 90 cm. Die Mauer dient als Außenwand eines gewölbten Kellerraums, nicht als Teil der Ringmauer. Ihre reduzierte Stärke ist funktional begründet (Lastabtragung, Lage an der geschützten Grabenseite). Der Vergleich mit der über 2,50 m starken Bergfriedwand zeigt die unterschiedliche statische und funktionale Bewertung der Bauteile. Fenster in solchen Wänden waren im hochmittelalterlichen Burgenbau üblich, sofern die Fassade (im Fall Angern durch den Wassergraben) geschützt lag.

Interpretation: Die Ostwand dokumentiert die sukzessive Nutzung und Transformation eines mittelalterlichen Kernbaus über Jahrhunderte. Der mittlere Abschnitt mit originalem Fenster ist ein seltener Beleg hochmittelalterlicher Kellerarchitektur. Der nördliche Abschnitt weist diskrete, sekundäre Reparaturen auf, während der südliche Teil komplexe Umgestaltungen zeigt. Die Kombination aus archäologisch gut lesbaren Bauphasen und materieller Authentizität macht die Ostwand des Palas zu einem bedeutenden Referenzbeispiel für die bauhistorische Forschung in der Altmark.

Fazit: Der untersuchte Mauerabschnitt der östlichen Palaswand der Burg Angern ist ein facettenreicher Befund, der in seiner mittleren Zone eine original hochmittelalterliche Fensteröffnung mit Sicherungselement aufweist, im nördlichen Teil reparativ überarbeitet wurde und im südlichen Bereich komplexe Umbauten aufweist. Der Gesamtbefund belegt die Authentizität des Baukerns und erlaubt gleichzeitig die Rekonstruktion funktionaler und historischer Umnutzungsprozesse im Verlauf von 700 Jahren Baugeschichte.

Im 14. Jahrhundert war die Altmark Schauplatz konkurrierender Herrschaftsansprüche. Die Markgrafen von Brandenburg, das Erzbistum Magdeburg sowie einflussreiche Adelsfamilien wie die von Alvensleben und von Grieben rangen um Besitzrechte, Lehnsbindungen und lokale Machtstellungen. In diesem territorial instabilen Raum stellte die Gründung der Burg Angern eine gezielte Maßnahme der Erzdiözese Magdeburg dar, um ihren Einfluss militärisch abzusichern und administrativ zu konsolidieren. Die Errichtung einer Wasserburg mit deutlich ausgeprägter Wehr- und Wohnfunktion manifestierte die landesherrliche Präsenz vor Ort und fungierte zugleich als sichtbares Machtsymbol gegenüber konkurrierenden Adelsinteressen. Hauptburg Angern Palas, Ringmauer und Wehrgang um 1350
Die Besitzgeschichte der Burg Angern lässt sich ab dem 14. Jahrhundert anhand von Lehnbriefen, Pfandverträgen und erzbischöflichen Urkunden nachvollziehen. Die frühe Geschichte ist dabei durch häufige Besitzerwechsel und konkurrierende Lehnsverhältnisse geprägt, was auf die strategische Bedeutung der Anlage und den politischen Druck auf das Erzstift Magdeburg hinweist. Erstmals wird die Burg im Jahr 1343 als Besitz eines Gerlof von Brunhorcz erwähnt. Im Jahr 1363 erscheint Lüdecke von Grieben als Lehnsträger. Er war kein Angehöriger der hochadeligen Familie von Grieben, sondern ein Vasall, der deren Namen übernommen hatte – ein im Mittelalter verbreitetes Phänomen, um familiäre Zugehörigkeit oder Schutzverhältnisse zu demonstrieren. 1370 sind Lüdecke von Grieben und zwei Söhne des Ritters Jakob von Eichendorf gemeinsam mit Angern belehnt.
Dieser Rundgang durch die Burg Angern um das Jahr 1340 basiert auf einer sorgfältigen Rekonstruktion historischer Quellen, archäologischer Befunde und baugeschichtlicher Analysen. Alle Szenen, Räume und Details wurden unter Berücksichtigung realer Gegebenheiten der mittelalterlichen Anlage entwickelt – etwa der erhaltenen Tonnengewölbe, der typischen Bauweise von Palas, Bergfried und Wirtschaftsflügeln sowie Hinweise aus Inventaren und schriftlichen Überlieferungen. Ziel ist es, nicht nur die äußere Gestalt, sondern auch die Atmosphäre und Lebenswelt einer spätmittelalterlichen Burg erlebbar zu machen – so nah wie möglich an der historischen Realität, doch mit erzählerischer Tiefe. Die Bilder zeigen fotorealistische Rekonstruktionen der Burg Angern um 1350. Sie basieren auf archäologischen Befunden, historischen Quellen und vergleichbarer Bausubstanz – realitätsnah umgesetzt mit moderner KI-Technik.
Die Burg Angern als exemplarische hochmittelalterliche Wasserburg in Norddeutschland. Die Burg Angern zählt zu den wenigen in der norddeutschen Tiefebene erhaltenen Wasserburgen, deren bauliche Struktur, archäologische Substanz und archivalische Überlieferung gleichermaßen außergewöhnlich gut erhalten sind. Obwohl die Errichtung um 1340 chronologisch an der Schwelle zum Spätmittelalter liegt, entspricht die Anlage in ihrer Konzeption, Gliederung und Funktionalität eindeutig dem hochmittelalterlichen Burgentypus. Die Burg vereint in exemplarischer Weise militärische, ökonomische und administrative Funktionen innerhalb eines klar strukturierten und funktional differenzierten Inselburgsystems. Ihre topografische Disposition – bestehend aus zwei künstlich aufgeschütteten Inseln, vollständig umgeben von einem mehrfach gegliederten Grabensystem – dokumentiert eindrucksvoll die strategischen und ingenieurtechnischen Prinzipien des Burgenbaus im mittleren 14. Jahrhundert. Burganlage in Angern mit Vorburg, Hauptburg mit Wehrgängen (orange) und Brücken sowie der Turminsel
Die Vorburg der Burg Angern: Funktionsanalyse und historische Rekonstruktion unter der Annahme mittelalterlicher Vorgängermauern (ca. 1350). Die Vorburg der Burg Angern, wie sie auf einem barockzeitlichen Plan um 1760 dargestellt ist, weist eine markante rechteckige Struktur mit drei langgestreckten Wirtschaftsgebäuden und zwei freistehenden Bauten auf. Auf Grundlage architektonischer Analyse, funktionaler Einteilung sowie typologischer Vergleiche mit anderen mitteleuropäischen Burganlagen lässt sich begründet rekonstruieren, dass die barocken Gebäude auf der Struktur und dem Grundriss einer hochmittelalterlichen Vorburg basieren. Die folgenden Ausführungen widmen sich der Rekonstruktion dieser früheren Vorburg unter der Annahme eines Baubestandes aus der Zeit um 1350. Innenhof der Vorburg Angern mit Wirtschaftsgebäuden (KI-Rekonstruktion)
Die strategische Lage Angerns im Dreißigjährigen Krieg. Angern war zu Beginn des 17. Jahrhunderts Sitz eines ausgedehnten Lehngutes der Familie von der Schulenburg, gelegen an der Grenze zwischen dem Kurfürstentum Brandenburg und den geistlichen Territorien Halberstadt und Magdeburg. Die Burg war Teil eines befestigten Ensembles aus Hauptburg, Vorburg und Turminsel. Ihre Lage machte sie im Kontext konfessioneller Konflikte und durchziehender Heere zu einem militärisch sensiblen Ziel.
Dieses Essay unternimmt den Versuch, die Lebenswirklichkeit im Dorf Angern um das Jahr 1340 nachzuzeichnen – basierend auf überlieferten Urkunden, Inventaren, Dorfordnungen und vergleichenden Regionalanalysen. Es beleuchtet die sozialen Strukturen , das wirtschaftliche Leben , den Alltag der Bevölkerung , und stellt Angern in den Kontext vergleichbarer Dörfer mit ähnlicher Herrschafts- und Wirtschaftsform. Trotz der lückenhaften Quellenlage aus dem 14. Jahrhundert erlauben spätere Ordnungen und bauliche Spuren einen aufschlussreichen Rückblick auf eine Epoche, in der feudale Macht, religiöse Ordnung und agrarische Selbstversorgung das Leben der Menschen bestimmten. Alte Dorfstrasse von Angern im Mittelalter
Die Errichtung der Burg Angern um 1340 – Architektur, Handwerk und Kontext. Die Burg Angern entstand um das Jahr 1340 im Auftrag des Erzbischofs Otto von Magdeburg. Diese Befestigungsanlage war Teil einer territorialpolitischen Sicherungsstrategie des Erzstifts in der südlichen Altmark, nachdem 1336 ein Ausgleich mit dem Markgrafen von Brandenburg erreicht worden war. Die Anlage, gelegen an einer bedeutenden Handelsroute, zählt zu den Wasserburgen des Niederungstyps und zeigt exemplarisch, wie sich Wehrhaftigkeit, Verwaltung und Repräsentation im 14. Jahrhundert architektonisch verbanden.
Angern

Angern, Sachsen-Anhalt, Landkreis Börde. Heft 20, Berlin 2023 (ISBN: 978-3-910447-06-6).
Alexander Graf von der Schulenburg, Klaus-Henning von Krosigk, Sibylle Badstübner-Gröger.
Herausgeber: Deutsche Gesellschaft e.V.
Umfang: 36 Seiten, 59 Abbildungen.