Die östliche Außenwand des Palas der Burg Angern stellt einen bauhistorisch signifikanten Befund dar, der entscheidende Hinweise auf die funktionale Organisation und die differenzierte Bauweise der hochmittelalterlichen Gesamtanlage liefert. Sie bildet die Rückwand eines tonnengewölbten Erdgeschossraums, der unmittelbar an den wasserführenden Graben grenzt und durch den südlich anschließenden Bergfried flankenartig gesichert war. Die Wandstruktur verkörpert typische Merkmale eines wirtschaftlich genutzten, nicht-repräsentativen Funktionsbereichs innerhalb eines hochmittelalterlichen Burgsystems des 14. Jahrhunderts.
Befund D1: Ostwand des Palas der Burg Angern
Lage und Kontext: Der untersuchte Mauerabschnitt bildet die östliche Begrenzung des Palas auf der Hauptburginsel. Die Position an der Grabenflanke macht ihn zugleich zu einem geschützten, aber baulich exponierten Bauteil der Gesamtanlage. Die Wandstruktur ist durch aktuelle Fotografien sowie historische Abbildungen (u. a. Duncker-Stich) dokumentiert. In der unteren Hälfte ist sie bis zur Fundamentzone freigelegt.
Außenansicht der Fensteröffnung mit östlicher Außenmauer des Palas am nördlichen Gewölbe
Außenansicht der östlichen Außenmauer des Palas mit Fenstern - Stich von Duncker
Maueraufbau und Bauphasen:
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Mittlerer Abschnitt (Fensterzone): Dieser Abschnitt besteht aus unregelmäßigem Bruchsteinmauerwerk mit lagerhafter Schichtung. Als Bindemittel dient ein kalkreicher Mörtel mit mineralischen Einschlüssen. Die Struktur ist homogen; der segmentbogig überwölbte Fensterdurchlass mit hochkant gesetzten Ziegellaibungen ist original erhalten. Korrosionsspuren an der inneren Laibung deuten auf ein bauzeitliches Sicherungselement hin (z. B. Gitter).
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Nördlicher Abschnitt: Das Mauerwerk ist hier regulärer geschichtet, mit kleineren Steinformaten und feinerem Mörtel. Eine vertikale Trennfuge mit leichtem Versatz zum mittleren Abschnitt sowie das sporadische Auftreten von Backsteinfragmenten sprechen für eine frühneuzeitliche Reparatur.
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Südlicher Abschnitt: Hier ist eine Dreigliederung sichtbar:
- Unterbau: Großformates Bruchsteinfundament (hochmittelalterlich)
- Mittelzone: horizontales Backsteinmauerwerk (frühneuzeitlich, Aufstockung oder Hofniveaueingriff)
- Oberzone: verputztes Mauerwerk mit rechteckigen Fensteröffnungen (19./20. Jh.)
Zusätzlich: Eine segmentbogige Backsteinöffnung im unteren Bereich verweist auf spätere Umgestaltung.
Wandstärke und Funktion: Die durchschnittliche Wandstärke beträgt ca. 90 cm. Die Mauer dient als Außenwand eines gewölbten Kellerraums, nicht als Teil der Ringmauer. Ihre reduzierte Stärke ist funktional begründet (Lastabtragung, Lage an der geschützten Grabenseite). Der Vergleich mit der über 2,50 m starken Bergfriedwand zeigt die unterschiedliche statische und funktionale Bewertung der Bauteile. Fenster in solchen Wänden waren im hochmittelalterlichen Burgenbau üblich, sofern die Fassade (im Fall Angern durch den Wassergraben) geschützt lag.
Interpretation: Die Ostwand dokumentiert die sukzessive Nutzung und Transformation eines mittelalterlichen Kernbaus über Jahrhunderte. Der mittlere Abschnitt mit originalem Fenster ist ein seltener Beleg hochmittelalterlicher Kellerarchitektur. Der nördliche Abschnitt weist diskrete, sekundäre Reparaturen auf, während der südliche Teil komplexe Umgestaltungen zeigt. Die Kombination aus archäologisch gut lesbaren Bauphasen und materieller Authentizität macht die Ostwand des Palas zu einem bedeutenden Referenzbeispiel für die bauhistorische Forschung in der Altmark.
Fazit: Der untersuchte Mauerabschnitt der östlichen Palaswand der Burg Angern ist ein facettenreicher Befund, der in seiner mittleren Zone eine original hochmittelalterliche Fensteröffnung mit Sicherungselement aufweist, im nördlichen Teil reparativ überarbeitet wurde und im südlichen Bereich komplexe Umbauten aufweist. Der Gesamtbefund belegt die Authentizität des Baukerns und erlaubt gleichzeitig die Rekonstruktion funktionaler und historischer Umnutzungsprozesse im Verlauf von 700 Jahren Baugeschichte.