Die südliche Begrenzung der Hauptburginsel von Angern stellt einen der bedeutendsten Abschnitte der gesamten Burganlage dar. Ihre unmittelbare Lage am Wassergraben, die Verbindung zur Turminsel sowie die massive Bruchsteinstruktur machen sie zu einem Schlüsselbereich für die bauhistorische Analyse. Insbesondere die südwestliche Partie mit der erhaltenen Ringmauer sowie die südliche Außenwand des Palas bieten Einblicke in die hochmittelalterliche Wehr- und Wohnarchitektur Norddeutschlands.
Befund E1: Südwestlicher Ringmauerabschnitt der Hauptburg
Lage und Kontext: Die dokumentierte Mauer befindet sich am äußersten südwestlichen Rand der Hauptburginsel von Burg Angern, unmittelbar oberhalb des ehemaligen Wassergrabens. Sie markiert den südlichsten Punkt der historischen Kernburg und liegt damit in einer wehrtechnisch strategischen Position zur Grabenzone und zur gegenüberliegenden Vorburg.
Baubefund und Material: Die Mauer besteht aus großformatigen, unregelmäßig behauenen Feldsteinen, die in trocken wirkender, aber lagerhafter Bruchsteintechnik ohne sichtbare horizontale Mörtelfugen verbaut wurden (zum Sockelbereich vgl. Befund I1). Auffällig ist das Fehlen jeglicher barocker Aufmauerungen oder späterer Ergänzungen. Die sichtbare Höhe beträgt derzeit ca. 2,50–3,00 m; die Mauerstärke kann auf 1,80–2,00 m geschätzt werden. Fenster- oder Türöffnungen sind nicht erkennbar. Die Oberkante ist unregelmäßig abgebrochen, Hinweise auf einen ehemaligen Wehrgang oder Zinnen sind nicht erhalten, jedoch aufgrund der Position wahrscheinlich anzunehmen.
Der obere Mauerabschluss besteht aus einer sekundären Backsteinaufmauerung mit unregelmäßigem Verband und Materialversatz. Die Ziegelschicht ist deutlich jünger als das darunterliegende Bruchsteinmauerwerk und dürfte im Rahmen der barocken oder späteren Wiederherstellung des Ringmauerabschlusses erfolgt sein. Diese Maßnahme diente wahrscheinlich der statischen Stabilisierung sowie der Höhenanpassung im Zuge der Errichtung der massiven Ziegelbrücke zur Turminsel.
Kontext der Brückenkonstruktion: Die heute erhaltene massive Ziegelbrücke zur Turminsel wurde vor 1735 errichtet im Zusammenhang mit der Aufschüttung des Innenhofs der Hauptburg und ersetzt eine ältere, vermutlich hölzerne Verbindung. Ihre architektonische Ausführung sowie die Materialwahl zeigen deutliche Unterschiede zur mittelalterlichen Ringmauer und dokumentieren den baulichen Übergang vom Wehrbau zum barocken Schlosszugang. Im Ziegelbogen sind mehrere Versprünge und leichte Setzungen sichtbar, was auf eine spätere Reparaturphase oder eine schrittweise Bauausführung schließen lässt.
Datierung: Die Mauer kann aufgrund ihrer homogenen Struktur, der Materialwahl sowie der strategischen Lage mit hoher Wahrscheinlichkeit der hochmittelalterlichen Bauphase der Burg Angern zugeordnet werden. Eine Entstehung um 1340–1350 erscheint gesichert. Es handelt sich um den am besten erhaltenen Abschnitt der ursprünglichen Ringmauer.
Funktion und Bedeutung: Als Teil der südlichen Ringmauer bildete dieser Abschnitt einen entscheidenden Bestandteil des Wehrsicherungssystems der Hauptburginsel. Die Erhaltung dieses Mauersegments erlaubt Aussagen zur ursprünglichen Wehrfunktion, zur Höhenentwicklung und zum Verteidigungsprinzip der südlichen Grabenzone.
Lageplan der Burganlage Angern mit Hauptburg, Turminsel und Vorburg um 1350
Süd-West-Ecke der Hauptburg mit barocker Brücke zur Turminsel
Befund E2: Südwand des Palas
Lage: Die Mauer bildet die südliche Ringmauer auf der Hauptburginsel und grenzt unmittelbar an den Wassergraben zur Turminsel.
Bauweise: Im unteren Bereich besteht die Mauer aus grobem, unregelmäßigem Bruchsteinmauerwerk in Kalkmörtelfuge (zum Sockelbereich vgl. Befund I1). Darüber folgen mehrere Schichten aus Ziegelmauerwerk mit unterschiedlichen Verbandstechniken, darunter horizontale Versprünge und leichte Unregelmäßigkeiten in der Ziegelfügung. Diese deuten auf sukzessive Aufmauerungen in mehreren Bauphasen. Der mittelalterliche Abschnitt reicht bis etwa auf die Höhe des ursprünglichen Erdgeschossniveaus.
Südwand des Palas auf der Hauptburg
Im unteren Wandbereich – unmittelbar oberhalb der Wasserlinie – besteht das Mauerwerk aus regelmäßig geschichtetem Bruchstein in Kalkmörtelbindung. Einzelne eingestreute Ziegelstücke deuten auf spätere Reparatureingriffe oder Ausgleichsmaßnahmen hin, ohne jedoch die ursprüngliche Struktur zu überformen. Eine durchgehende Ziegeldurchmischung liegt nicht vor. Aufgrund der homogenen Ausführung, der Materialwahl und der Position kann dieser Bereich mit hoher Wahrscheinlichkeit als bauzeitlich (um 1340) angesprochen werden.
Im Übergang vom Bruchstein- zum Ziegelmauerwerk ist eine horizontale Versatzlinie mit Mörtelfuge und Materialbruch erkennbar. Dieser horizontale Bruch dürfte die Trennlinie zwischen dem hochmittelalterlichen Kernbau und einer barocken Aufstockung oder Uferanpassung markieren.
Erhaltungszustand: Im unteren Sockelbereich ist eine horizontale Feuchtezone erkennbar, die sich in Form von Ausblühungen, Mörtelverlust und Verfärbungen manifestiert. Diese Schädigung dürfte auf kapillare Durchfeuchtung durch den anstehenden Wassergraben zurückzuführen sein und erfordert konservatorische Überwachung.
Datierung: Der Bruchsteinabschnitt ist bauzeitlich (ca. 1340). Die Ziegelaufmauerungen stammen aus späteren Bauphasen, vermutlich aus der frühen Neuzeit. Es sind keine Spuren barocker Putzfassungen oder nachträglicher Fensteröffnungen erkennbar.
Deutung: Die Mauer diente als außenliegende Begrenzung des Palas und besaß gleichzeitig eine verteidigungstechnische Funktion in Richtung der Turminsel. Ihre Lage gegenüber dem Bergfried belegt eine bewusste Ausrichtung innerhalb des hochmittelalterlichen Verteidigungssystems.
Bedeutung: Die Südwand des Palas ist einer der wichtigsten erhaltenen Bauteile der Burg Angern. Ihre stratigraphische Gliederung liefert Hinweise auf Bauphasen, Nutzungsänderungen und das Verteidigungskonzept der Gesamtanlage. Ihre architektonische und historische Bedeutung liegt in der Kombination von Wohnbau und Wehrfunktion in unmittelbarer Grabenlage.
Befund E3: Westliche Ringmauer der Hauptburg
Lage und Kontext: Die westliche Ringmauer der Hauptburg Angern verläuft unmittelbar entlang des ehemaligen Wassergrabens und bildet die äußere Begrenzung der Burganlage zur Vorburg. Die Fotografie zeigt die Gesamtansicht dieses Mauerabschnitts aus südwestlicher Richtung, mit Blick auf die gesamte Länge zwischen der historischen Brücke im Süden und dem klassizistischen Anbau im Norden. Die Mauerstruktur verläuft auf einer leicht gebogenen Linie parallel zum Wasserlauf und ist bis auf wenige Durchlässe vollständig erhalten. Vegetative Überwucherungen bedecken große Teile der oberen Partie.
Mauerstruktur und Bauphasen: Das aufgehende Mauerwerk besteht im unteren Bereich aus unregelmäßigem Bruchstein, hauptsächlich aus Granit- und Feldsteinmaterial (zum Sockelbereich vgl. Befund I1). Dieser Sockelbereich lässt sich aufgrund seiner Materialwahl, Verarbeitung und Lage eindeutig der hochmittelalterlichen Erstbauphase um 1340 zuordnen. Oberhalb dieser Zone ist eine aus Ziegeln bestehende Aufmauerung erkennbar, deren Verband, Format und Mörtelstruktur auf frühneuzeitliche Ergänzungen hinweisen (vermutlich 17. bis frühes 18. Jahrhundert). Die Trennlinie zwischen Bruchstein- und Ziegelzone ist stellenweise deutlich ablesbar.
Fensteröffnungen und Umbauten: In der Ziegelzone der westlichen Ringmauer befinden sich mindestens fünf vermauerte Fensteröffnungen (siehe Befund E5), die sich durch leicht segmentbogige Sturzformen und abweichendes Fugenbild vom umgebenden Mauerwerk abheben. Die unregelmäßige Setzung, das Fehlen von Gewänden und die asymmetrische Positionierung im Mauerverlauf sprechen für eine nachträgliche Öffnung dieser Fenster in der Zeit nach 1650 – wahrscheinlich im Zuge der Umnutzung der Ringmauer als Rückwand von Wirtschaftsgebäuden oder Lagerräumen. Eine bauzeitliche Entstehung ist aufgrund der Wandstärke, der Höhenlage und der Ziegelausbildung auszuschließen.
Erhaltungszustand: Die Mauer weist stellenweise deutliche Witterungsschäden, Ausspülungen im unteren Bereich sowie Verwurzelung und Bewuchs in der oberen Partie auf. Die strukturelle Integrität des Bruchsteinsockels bleibt dennoch weitgehend erhalten. Die Ziegelbereiche zeigen Mörtelausbrüche und Spuren von früheren Umbauten. Vegetative Schäden (Kletterpflanzen, Gehölze) haben lokal zu Mauerlockerungen geführt, die konservatorisch erfasst und gesichert werden sollten.
Baugeschichtliche Bewertung: Die westliche Ringmauer dokumentiert eindrücklich die bauliche Entwicklung der Hauptburg Angern vom wehrtechnischen Verteidigungsbau des 14. Jahrhunderts zur funktional überformten Struktur der Wiederbesiedlungsphase nach 1650. Der massive Bruchsteinsockel stellt einen originalen, substanzgesicherten Rest der hochmittelalterlichen Ringbefestigung dar. Die Fensteröffnungen, Ziegelaufmauerungen und baulichen Veränderungen spiegeln die barocke und frühneuzeitliche Nutzungsphase wider. Der Abschnitt belegt die fortwährende Überformung und Anpassung des mittelalterlichen Wehrbaus an geänderte wirtschaftliche und soziale Anforderungen.
Schlussfolgerung: Die westliche Ringmauer ist ein herausragender Quellenbefund für die Transformation von Wehrarchitektur in sekundär genutzte Funktionsräume. Ihre differenzierte Materialität, die gut ablesbaren Umbauphasen und der Erhaltungsgrad machen sie zu einem Schlüsselbefund für die bauhistorische Analyse der Hauptburg Angern. Eine denkmalgerechte Freilegung der Fensterzonen sowie eine konservatorische Sicherung der Mauerkrone sind dringend zu empfehlen.
Befund E4: Nördliche Ringmauer der Hauptburg
Lage und Kontext: Die nördliche Ringmauer der Hauptburg von Angern grenzt unmittelbar an den ehemaligen Wassergraben, der die Hauptinsel vollständig umschloss. Die hier untersuchte Mauer verläuft zwischen dem nordwestlichen Maueranschluss (Übergang zur westlichen Ringmauer) und dem westlichen Ende nahe der Brücke, die ab 1870 die Verbindung zur Vorburg herstellte. Sie bildet die Nordbegrenzung der Hauptburg und liegt der Dorfseite von Angern zugewandt. Die Fotografie zeigt den mittleren Abschnitt dieser Mauer aus südlicher Blickrichtung, jenseits des Grabens.
Baubestand und Material: Der untere Bereich der Mauer besteht aus unregelmäßigem, teils großformatigem Bruchsteinmauerwerk (Feldsteine, Granit, Gneis), das in kalkhaltigem Mörtel mit breiten Lagerfugen gesetzt ist (zum Sockelbereich vgl. Befund I1). Die Mauer wirkt lagerhaft, zeigt aber eine heterogene Materialverteilung und keine systematische Gliederung. Die unterste Lage ist stellenweise mit einer dicken Algen- und Sedimentschicht bedeckt – ein Hinweis auf dauerhafte Wasserbelastung und geringe Fluktuation im Wasserspiegel des Grabens.
Der mittlere Bereich wird durch eine teils stark überformte Zone aus Ziegel- und Mischmauerwerk geprägt. Besonders auffällig ist eine großflächige, unsachgemäß ergänzte Ausbesserung aus industriell gefertigten Ziegeln im linken Drittel des Bildes, die durch ihr regelmäßiges Format, die scharfkantige Verarbeitung und den deutlich helleren Mörtel vom umliegenden Altmauerwerk abweicht. Diese Reparatur lässt sich auf das 19. oder frühe 20. Jahrhundert datieren und wurde vermutlich im Zusammenhang mit dem Brückenbau oder der Umnutzung der Ringmauer vorgenommen.
Überformung und Nutzungswandel: Die massive Überwucherung des oberen Mauerabschnitts mit Strauchwerk und größeren Bäumen verdeckt etwa ein Drittel der Mauerhöhe. Hinweise auf einen Wehrgang oder originale Mauerkrone sind daher nicht sichtbar. Die Anlage scheint in diesem Bereich bereits im 18. oder 19. Jahrhundert ihre wehrtechnische Funktion verloren zu haben und diente seither wahrscheinlich als Grundstücksbegrenzung oder Stützmauer für spätere Garten- oder Parkbereiche.
Zustand und Schäden: Das Bruchsteinmauerwerk ist in der unteren Zone größtenteils intakt, jedoch durch Durchfeuchtung und Pflanzenbewuchs gefährdet. Die horizontale Ziegelausbesserung zeigt starke Mörtelauswaschung, Spannungsrisse und suboptimale Verbindung mit dem Altbestand. In der rechten Hälfte des Bildes ist eine geringfügige Absenkung der Mauerlinie erkennbar – möglicherweise infolge von Setzungen oder Wurzelbelastung. Der Anschluss an die Brücke zeigt keine saubere Verzahnung mit dem Altbestand, sondern einen klaren technologischen Bruch.
Bauhistorische Einordnung: Die untere Bruchsteinzone ist mit hoher Wahrscheinlichkeit der Erstbauphase um 1340 zuzuordnen. Die Mauertechnik, das Material und die Lage zur Grabenfront entsprechen den typischen Gründungstechniken hochmittelalterlicher Wasserburgen der Altmark. Die späteren Überformungen durch Ziegelreparaturen, Verfüllungen und nicht originalgetreue Aufmauerungen lassen auf eine fortschreitende Nutzungsänderung seit dem späten 17. Jahrhundert schließen. Der heutige Zustand ist durch Überformung und Überwucherung stark geprägt, enthält aber im unteren Bereich wichtige bauzeitliche Substanz.
Schlussbewertung: Die nördliche Ringmauer der Hauptburg dokumentiert die ursprüngliche Begrenzung zur Dorfseite hin und ist zugleich ein Beispiel für die schleichende Umnutzung ehemals wehrhafter Strukturen in sekundäre Funktionen. Die erhaltene Bruchsteinbasis belegt die Authentizität des Mauerverlaufs und bietet ein wichtiges Referenzstück für die Bauanalyse der Gesamtanlage. Eine Freilegung des oberen Mauerbereichs sowie eine archäologisch-konservatorische Untersuchung wären erforderlich, um den ursprünglichen Wehrcharakter dieses Abschnitts genauer zu rekonstruieren und substanzielle Schäden durch Wurzeleinwirkung zu verhindern.
Empfehlungen für die weitere Untersuchung
- Detaillierte Baufugenkartierung und Profilzeichnung
- Mörtel- und Materialanalyse (Bindemittel, Zuschlagstoffe)
- Dendrochronologische Untersuchung von verbliebenen Holzelementen (z. B. Wehrganglagerhölzer, falls vorhanden)
- Archivrecherche zur Nutzung und Umnutzung der Südmauer ab 1650
- Kartierung biologischer Schäden und Bewertung der Ufervegetation hinsichtlich konservatorischer Risiken