Die Figur des Heinrich XI von der Schulenburg (* 06.09.1621 auf Angern, + 19.05.1691 in Kehnert) nimmt innerhalb der Geschichte der Familie von der Schulenburg eine Schlüsselstellung ein. Er steht am Beginn einer Phase der konsolidierenden Erneuerung nach dem katastrophalen Einschnitt des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648), der weite Teile des altmärkischen Adels existenziell erschütterte. Als Angehöriger der jüngeren Linie des weißen Stammes, die sich im 15. Jahrhundert aus der Gesamtfamilie herausgebildet hatte, trat Heinrich XI. im Jahr 1636 im Alter von nur 16 Jahren das schwer beschädigte Erbe seines Vaters Henning III. von der Schulenburg (*1587, †01.09.1637) und Catharina Schenk von Flechtingen an. Dieses umfasste die vormals blühenden, im Krieg jedoch verwüsteten Güter Angern, Kehnert und Schricke, sowie den verpfändeten Besitz Falkenberg in der Altmark. Der Erbfall traf auf eine Zeit ökonomischer Not, politischer Unsicherheit und grundlegender territorialer Neuordnung.
Die historische Bedeutung Heinrichs XI. liegt nicht in der aktiven Gestaltung großer Politik oder dem Erwerb neuen Ruhms, sondern vielmehr in seiner Rolle als Bewahrer und Wiederbegründer eines Familienzweiges, dessen Existenz akut gefährdet war. Im Gegensatz zur parallel bestehenden Linie in Altenhausen, deren Wiederaufbau deutlich besser dokumentiert ist, bleibt über die konkreten Maßnahmen Heinrichs in Angern weitgehend Ungewisses. Quellen wie die Dorfchronik von Angern oder spätere Inventare deuten jedoch an, dass der Wiederaufbau unter widrigen Umständen begann, von Schulden und Konkurs geprägt war, aber dennoch zur dauerhaften Wiederverankerung des Hauses in der Region führte .
Von übergeordneter Relevanz ist in diesem Zusammenhang auch der juristische Konflikt mit dem Kurfürstentum Brandenburg, der 1685 eskalierte. Die brandenburgische Regierung zweifelte die Rechtmäßigkeit der Belehnung mit dem Gut Angern an und versuchte, es unter Berufung auf seine Herkunft als erzbischöfliches Tafelgut einzuziehen. Heinrich XI. stellte sich gemeinsam mit seinem Vetter Friedrich Achaz von der älteren Linie einem langjährigen Prozess, der über mehrere Fakultätsgutachten hinweg bis 1728 andauerte und letztlich zugunsten der Familie entschieden wurde. Dieses juristische Ringen ist nicht nur Ausdruck der Rechtsunsicherheit im Übergang vom konfessionell gebundenen Erzstift zum weltlichen Kurfürstentum, sondern auch ein Beleg für das Beharrungsvermögen und Selbstverständnis einer altadeligen Familie im frühabsolutistischen Zeitalter.
Neben dem Erhalt des Besitzes ist es vor allem Heinrichs Rolle als Stammvater dreier nachhaltiger Familienzweige, die seine biographische Relevanz begründet. Trotz seiner bescheidenen Mittel und der offenkundigen wirtschaftlichen Einschränkungen gelang es ihm, durch eine strategisch weitsichtige Familienpolitik seine Nachkommenschaft in drei Linien zu etablieren: den älteren Zweig Angern unter seinem Sohn Henning Christoph, den mittleren Zweig unter Joachim Ludolf und den jüngeren Zweig unter Heinrich XII. Diese Gliederung prägte die Familienstruktur bis ins 19. Jahrhundert. Besonders bemerkenswert ist die Tatsache, dass viele seiner Söhne militärische Karrieren verfolgten, teils in brandenburgischen, teils in ausländischen Diensten – ein Hinweis auf die hohe Mobilität und pragmatische Ausrichtung des altmärkischen Adels in der Zeit nach dem Westfälischen Frieden. Sein Studium legt nahe, dass er sich früh auf Verwaltungs- und Rechtsfragen spezialisierte, um die weitläufigen und durch Kriegswirren belasteten Güter der Familie effizient zu führen.
Herkunft und Familie
Genealogische Einordnung und Elternhaus: Heinrich XI. entstammte der jüngeren Linie des weißen Stammes der Familie von der Schulenburg, die sich im 15. Jahrhundert aus der altmärkischen Gesamtfamilie herausgebildet hatte. Diese Linie besaß ihren Schwerpunkt in Angern und den dazugehörigen Gütern Kehnert und Schricke. Die Familie gehörte dem niederen Hochadel der Altmark an, war aber durch umfangreichen Grundbesitz und ein gewachsenes Lehnsnetzwerk regional fest etabliert. Heinrich war der Sohn von Henning III. von der Schulenburg, dessen Herrschaftszeit durch die zunehmenden Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges geprägt war. Das Todesjahr Hennings III. ist archivalisch mit 1636 belegt, als Heinrich XI. im Alter von nur 16 Jahren als Alleinerbe auf die schwer beschädigten Familiengüter folgte.
Zu den Besitzungen, die er übernahm, gehörten: Burg und Burhof Angern, Kehnert (nahe Rogätz), Schricke (heute ein Ortsteil von Loitsche-Heinrichsberg), das verpfändete Falkenberg (bei Gardelegen). Diese Güter waren nicht nur stark in Mitleidenschaft gezogen, sondern mit erheblichen Schulden belastet. Die Nachwirkungen des Krieges hatten Wirtschaft, Bevölkerung und bauliche Substanz der Region schwer geschädigt.
Heirat mit Ilse Floria von dem Knesebeck: Heinrich XI. heiratete Ilse Floria von dem Knesebeck (Nr. 504), eine Angehörige des bedeutenden Geschlechts von dem Knesebeck, das seit dem Spätmittelalter zur politisch einflussreichen Schicht im Fürstentum Braunschweig und der Altmark gehörte. Die Heirat mit einer Vertreterin dieser Familie deutet auf das Bestreben hin, trotz ökonomischer Schwierigkeiten die standesgemäße Zugehörigkeit zu wahren und durch familiäre Allianzen Einfluss und Vermögen abzusichern.
Die Ehe war überaus kinderreich: Heinrich und Ilse Floria hatten 16 Kinder (sowie einen totgeborenen Sohn), darunter 10 Söhne und 6 Töchter. Vier dieser Kinder verstarben im frühen Kindesalter, zwei Söhne fielen in kriegerischen Auseinandersetzungen. Die erhaltenen genealogischen Nachweise verzeichnen drei Söhne, die eigene Familien gründeten und damit den Ast Angern in drei Linien weiterführten.
- Henning Christoph von der Schulenburg (* 1648/1649, Angern – † 27.12.1683, Staßfurt) (Nr. 752), der als ältester Sohnn den Hof übernimmt und das Erbe fortsetzt, wurde kurbrandenburgischer Hauptmann und ist der Stammvater des bis in das 19. Jahrhundert fortbestehenden älteren Zweigs Angern.
- Matthias Daniel II. von der Schulenburg (* 22.01.1653, Angern – † 06.09.1713, Angern), ein Oberst und Herr auf Schloss Angern, der die wirtschaftliche Basis des Gutes weiter ausbaute.
- Joachim Ludolf von der Schulenburg (* 28.12.1664, Angern – † 09.12.1740) (Nr. 762), trat nach militärischem Dienst in den Verwaltungsdienst ein, wurde Geheimer Kriegsrat und gründete den später 1815 erloschenen mittleren Zweig.
- Heinrich XII. von der Schulenburg (* 07.02.1668, Angern – † 28.01.1702) (Nr. 764), erhielt bei der Erbteilung eine finanzielle Abfindung und ließ sich in Kehnert nieder; sein Zweig, der jüngere, ist heute erloschen.
- Levin Friedrich I. von der Schulenburg (* 12.05.1670, Angern – † 17.05.1729), ein Sardinischer General-Feldzeugmeister, der sich militärisch und diplomatisch hervortat und Herr auf Burg- und Kirchscheidungen war.
- Friedrich August II. von der Schulenburg (* 21.08.1672 – † 03.05.1718), der die Verwaltung von Teilen des Familienbesitzes übernahm.
Die drei Söhne begründeten somit die genealogische Hauptstruktur des Angernschen Zweiges im 18. Jahrhundert. Die übrigen Söhne traten überwiegend in Militärdienste ein, entweder im brandenburgischen, im braunschweigischen oder – wie Levin Friedrich I. – im savoyischen Heer. Auffällig ist, dass sich unter den Eheverbindungen dieser Generation keine Angehörigen der führenden altmärkischen Familien finden, was Rückschlüsse auf die soziale und wirtschaftliche Lage des Hauses erlaubt.
Wirtschaftliche und soziale Lage
Schuldenlage und Konkurs von 1672: Die wirtschaftliche Situation Heinrichs XI. war von Anfang an prekär. Als er 1636 im Alter von 16 Jahren das Erbe seines verstorbenen Vaters antrat, übernahm er nicht nur ruinierte Besitzungen, sondern auch eine erhebliche Schuldenlast. Die Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges hatten das Gut Angern sowie die weiteren Familienbesitzungen Kehnert, Schricke und Falkenberg in einen Zustand der Verwüstung und finanziellen Desintegration geführt. Die Erträge der Güter reichten nicht aus, um Zinsen und laufende Verpflichtungen zu bedienen.
Ein entscheidender Wendepunkt markiert das Jahr 1672, als Heinrich zur Abwendung des drohenden Bankrotts gezwungen war, Konkurs anzumelden. Laut der Dorfchronik Angern wurde der gesamte Besitz daraufhin „taxiert und zur Versteigerung ausgeschrieben“ . Dies unterstreicht den vollständigen wirtschaftlichen Zusammenbruch des Schulenburgschen Gutsbetriebes in dieser Phase. Das Fehlen eines größeren Herrenhauses und der ruinöse Zustand des noch vorhandenen alten Turmes („allenthalben sehr baufällig“) belegen die desolate bauliche und infrastrukturelle Lage, die das Alltagsleben auf dem Gut prägte.
Rückerwerb und minimale Stabilisierung: Trotz der angespannten Verhältnisse gelang Heinrich 1680 – vermutlich durch eine Kombination aus familiärer Unterstützung und juristischer Strategie – der Rückerwerb des Gutsbesitzes zum festgesetzten Taxwert. Dies zeigt einerseits, dass die Familie trotz der ökonomischen Engpässe ihre Position im lokalen Adel verteidigen konnte; andererseits macht der Umstand, dass sich kein anderer Interessent fand, deutlich, wie wenig attraktiv der Besitz damals war. Der Rückerwerb war nicht Ausdruck ökonomischer Stärke, sondern einer Art Notkauf zur familiären Besitzsicherung.
Offenbar wurde anschließend ein Neubau auf der Turminsel errichtet. Die Wohnverhältnisse in diesem Haus geben ebenfalls Aufschluss über die soziale Realität eines niederen Adelsgeschlechts in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts:
- Das Herrenhaus bestand lediglich aus einem zweistöckigen Gebäude mit 15 Fenstern, zwei großen Räumen und einigen Kammern.
- Die Küche und eine Alkovenstube zählten zu den funktionalen Zentren des Hauses.
- Nur ein Raum, das Speisezimmer, war mit Holzdielen ausgestattet; in den übrigen Räumen bestand der Bodenbelag aus Gips.
- Der alte Turm wurde nicht mehr als Wohnbau genutzt; nur ein Zimmer blieb bewohnbar, ansonsten galt er als baufällig und nicht instandsetzungswürdig.
Diese Umstände lassen erkennen, dass Heinrichs Lebensstil weit entfernt war vom repräsentativen Ideal der barocken Adelskultur. Vielmehr dominierten Pragmatismus, Sparsamkeit und Improvisation, um die Familie unterzubringen. Besonders bemerkenswert ist, dass trotz der engen Verhältnisse 17 Kinder und mehrere Bedienstete im Haus lebten – ein Umstand, der die sozialen Realitäten des frühneuzeitlichen Landadels plastisch macht.
Lehensstreit und landesherrlicher Druck: Die ökonomischen Belastungen wurden in den 1680er Jahren durch politische Entwicklungen weiter verschärft. Im Zuge des Übergangs des Erzstifts Magdeburg an das Kurfürstentum Brandenburg (offiziell 1680) ließ der brandenburgische Kurfürst systematisch alle Lehensverhältnisse überprüfen. Am 12. September 1685 wurde Heinrich XI. gemeinsam mit seinem Vetter Friedrich Achaz von der Schulenburg (ältere Linie) der Besitz an Angern streitig gemacht. Die brandenburgischen Behörden argumentierten, das Gut sei ursprünglich ein erzstiftliches Tafelgut gewesen und habe daher 1448 nicht legal verliehen werden dürfen. Diese Entwicklung stellte für Heinrich eine doppelte Bedrohung dar: einerseits juristisch durch die drohende Enteignung, andererseits symbolisch durch die Infragestellung der familiären Legitimität. Die Einleitung eines jahrzehntelangen Prozesses, der erst 1728 durch die Entscheidung der juristischen Fakultät in Wittenberg zugunsten der Familie abgeschlossen wurde, zeigt, wie elementar die Besitzfrage für die soziale Existenz des Adels war. Der Lehensstreit wurde zu einem Kampf um das Überleben der Standesehre.
Sozialer Abstieg im regionalen Vergleich: Auffällig ist im Vergleich mit verwandten Linien – etwa den Häusern in Altenhausen oder Emden –, dass der Ast Angern unter Heinrich XI. einen deutlichen sozialen Abstieg erlebte. Dieser manifestierte sich in:
- Fehlender akademischer Ausbildung seiner Söhne (nur rudimentäre Studien in Helmstedt)
- Eheverbindungen mit Familien mittlerer oder geringer Bedeutung
- Langsamer Wiederaufbau der Infrastruktur und fehlende Mittel für Repräsentation
Stattdessen dominierten militärische Karrieren der nachgeborenen Söhne, meist in niederen Rängen, oder Dienstverhältnisse im öffentlichen Verwaltungsdienst. Die Tatsache, dass keine Tochter mit einem der führenden altmärkischen Geschlechter verheiratet wurde, verweist ebenfalls auf die schwindende Integration in die Führungsschicht des Regionaladels.
Zusammenfassung: Die wirtschaftliche und soziale Lage Heinrichs XI. war durch kriegsbedingte Zerstörung, hohe Schulden, Konkursverfahren, enge Wohnverhältnisse und politische Bedrängnis geprägt. Dennoch gelang es ihm, den Kernbesitz seiner Linie zu sichern und – gegen den Trend – eine tragfähige Nachkommenschaft zu etablieren. Die Überlebensstrategie Heinrichs war geprägt von Anpassung, Rückzug auf das Notwendige und Beharrungsvermögen, nicht von öffentlichem Glanz. Diese stille Leistung bildet die Grundlage für den späteren Aufstieg seiner Söhne und Enkel.
Rechtsstreit um das Lehen Angern
Politischer Hintergrund: Der Übergang des Erzstifts Magdeburg an Brandenburg: Die juristische Auseinandersetzung um den Besitz Angern ist untrennbar mit dem politischen Wandel in Mitteldeutschland am Ende des 17. Jahrhunderts verknüpft. Mit dem Westfälischen Frieden von 1648 war festgelegt worden, dass das Erzstift Magdeburg, bislang geistliches Fürstentum unter kaiserlicher Oberlehenshoheit, nach dem Tod des letzten katholischen Administrators in den Besitz des Kurfürstentums Brandenburg übergehen sollte. Dies trat 1680 ein und bedeutete für viele altmärkische Adelsfamilien eine grundlegende Veränderung ihrer Rechtsbeziehungen. Während zuvor viele Güter unter geistlicher Lehnshoheit gestanden hatten – oft mit lockerer Bindung und teils unsystematischer Dokumentation –, begann Brandenburg nach 1680 mit einer konsequenten Lehnsherrschaftsprüfung. Ziel war es, bislang nur vermutete oder mangelhafte Belehnungen rechtlich neu zu bewerten und im Zweifelsfall einzuziehen oder neu zu vergeben. Die neue Herrschaft verstand sich zunehmend als „moderne“ Verwaltungseinheit mit straff durchgesetzter Lehnsverfassung – ein Grundkonflikt mit tradierten Adelsherrschaften war damit angelegt.
Die Anfechtung des Lehens Angern (1685): In diesem Kontext wurde am 12. September 1685 ein Lehensbescheid gegen Heinrich XI. von der Schulenburg und seinen Vetter Friedrich Achaz von der älteren Linie erlassen. Darin wurde der Besitzanspruch an Angern in Zweifel gezogen mit der Begründung, es handle sich bei dem Gut um ein erzstiftliches Tafelgut, das als solches 1448 nicht rechtmäßig hätte verlehnt werden dürfen. Diese Argumentation zielte darauf ab, das Gut Angern als ursprüngliches Krongut ohne erblichen Lehenscharakter zu klassifizieren – eine juristische Strategie, die darauf abzielte, den Besitz für die brandenburgische Krone einzuziehen oder mit neuem Lehnsherren zu besetzen. Auch das benachbarte Altenhausen, im Besitz einer anderen Linie der Familie, wurde mit ähnlicher Begründung bedroht. Die Beweisführung war jedoch unterschiedlich dokumentiert, sodass die späteren Verfahren nicht deckungsgleich verliefen.
Verteidigung und Prozessverlauf: Die betroffenen Linien der Familie von der Schulenburg entschieden sich, die Anfechtung nicht hinzunehmen, sondern den Prozessweg zu beschreiten. Dieser Schritt erforderte beträchtliche Mittel, Ausdauer und juristisches Geschick – Eigenschaften, die in der Familie offenbar in ausreichendem Maße vorhanden waren. Heinrich XI. war zum Zeitpunkt der Anfechtung bereits ein älterer Mann, die Führung des Verfahrens dürfte daher zunehmend in die Hände der nachfolgenden Generation übergegangen sein, insbesondere an Matthias Daniel II., einen seiner ältesten Söhne. Die Auseinandersetzung zog sich über mehrere Jahrzehnte hin. Entscheidendes Gewicht erhielt das Gutachten der juristischen Fakultät der Universität Wittenberg, das im Jahr 1728 gefällt wurde. Darin wurde – vermutlich nach Vorlage entsprechender Lehnsnachweise, Besitzfolgen und möglicherweise auch „althergebrachter Nutzung“ – die Argumentation der brandenburgischen Seite zurückgewiesen. Das Urteil sprach den von der Schulenburg die fortdauernde Lehnsberechtigung über Angern zu. Dennoch wurde die Entscheidung nicht sofort vollstreckt. Der preußische König ließ 1729 weitere Fakultätsgutachten einholen, vermutlich um das Urteil auf eine breitere rechtliche Basis zu stellen oder eine politische Rückendeckung zu gewinnen. Auch diese Folgegutachten fielen offenbar zugunsten der Familie aus, denn es ist archivalisch und faktisch belegt, dass die Güter im Besitz der Familie verblieben – ein juristischer und politischer Erfolg, der nicht nur materiell von Bedeutung war, sondern auch der Selbstvergewisserung und Ehre der Familie diente.
Bedeutung des Rechtsstreits für die Familienstruktur: Der Prozess um Angern war mehr als eine bloße Besitzfrage. In einer Zeit, in der Adelserhalt, Reputation und rechtlich gesicherter Grundbesitz die Grundlagen sozialer Existenz bildeten, bedeutete der Ausgang des Streits eine Existenzerhaltung auf struktureller Ebene. Die Möglichkeit, den Besitz an die nächste Generation weiterzugeben – etwa an Matthias Daniel II. oder Joachim Ludolf –, war an die juristische Anerkennung des Lehens gebunden. Darüber hinaus wirkte der Erfolg des Prozesses als Legitimation für spätere Besitzvermehrung und das öffentliche Selbstverständnis der Familie. So konnte etwa Levin Friedrich I., der als jüngerer Sohn keine substanzielle Erbschaft aus Angern erwarten konnte, auf Grundlage der stabilisierten Familienverhältnisse eigenständig Karriere machen und später bedeutende Güter wie Burgscheidungen erwerben und in ein Majorat überführen.
Zusammenfassung: Der Rechtsstreit um das Gut Angern steht exemplarisch für die rechtlich-politischen Auseinandersetzungen in Brandenburg nach 1680. Er verdeutlicht das Spannungsfeld zwischen altadeliger Besitztradition und frühabsolutistischer Lehensreformpolitik. Für Heinrich XI. und seine Nachkommen war der juristische Sieg über die brandenburgischen Einziehungsbestrebungen mehr als ein administrativer Erfolg – er war die Rückversicherung ihrer standesrechtlichen Stellung, ihrer wirtschaftlichen Existenz und der dynastischen Zukunft.
Heinrich XI lebte in einer Epoche, die durch die tiefgreifenden Folgen des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648) geprägt war. Die Verwüstungen dieses langen Konflikts hatten nicht nur das Land, sondern auch die wirtschaftliche und soziale Struktur Brandenburg‑Preußens nachhaltig erschüttert. In den Jahren nach 1648 begann ein langwieriger Wiederaufbauprozess, der von der Notwendigkeit geprägt war, feudale Strukturen aufzubrechen und zentralisierte, absolutistisch geprägte Verwaltungsinstitutionen zu etablieren – Entwicklungen, die auch den Grundstein für den späteren Aufstieg des preußischen Staates legten.
In diesem historischen Kontext stellte Heinrich XI als Vertreter des kurbrandenburgischen Adels eine wichtige Verbindung zwischen den mittelalterlichen Verwaltungsmethoden und den aufkommenden modernen Staatsstrukturen dar. Sein fundiertes juristisches und administratives Wissen, erworben an der Universität Helmstedt, ermöglichte es ihm, in einem von Krisen und wirtschaftlichen Engpässen geprägten Umfeld die Familieneigentümer nachhaltig zu organisieren und zu leiten. Dies war besonders bedeutsam, da viele Adelsfamilien in der Region unter den Nachwirkungen des Krieges litten und sich zu wirtschaftlichen Reformen gezwungen sahen.
Die Eheschließung mit Ilse Floria von der Knesebeck (1629–1712) verstärkte diese Position zusätzlich. Das Adelsgeschlecht von der Knesebeck war für seine militärischen und administrativen Verdienste bekannt und pflegte enge Beziehungen zu den brandenburgischen Kurfürsten – Verbindungen, die in einer Zeit politischer Instabilität und territorialer Neuordnung von unschätzbarem Wert waren.
Die Darstellung von Heinrich XI aus ca. 1680 vermittelt ein starkes Gefühl von Macht und Status. Durch die prächtige Rüstung, die formelle Pose und die minutiöse Detailgenauigkeit vermittelt das Bild nicht nur den militärischen Rang des Dargestellten, sondern auch die Werte des 17. Jahrhunderts: militärische Stärke, Adel und gesellschaftliche Autorität. Es dient als ein wichtiges Element zur Stärkung des gesellschaftlichen und politischen Status des Abgebildeten und zeigt ihn als eine herausragende Figur in der Kriegsführung und in der Gesellschaft.
Die wirtschaftliche Situation der Familie war jedoch angespannt. Bereits 1650, als die Kirchenvisitation im Hause der Schulenburgs abgehalten wurde, zeigte sich, dass der jüngste noch lebende Sohn Hennings einen erheblichen Schuldenberg mit dem Erbe übernommen hatte.
1672 wird der Konkurs erklärt, der gesamte Besitz taxiert und danach zur Versteigerung ausgeschrieben. Ein größeres Wohnhaus scheint nicht mehr vorhanden gewesen zu sein. Dafür werden aber die vier Keller und der alte Turm erwähnt, von dem es heißt:
„Worinne zwar viel Zimmer erbauet, alldieweil aber derselbe allenthalben, absonderlich im Fundament, sehr baufällig und viel zur Reparatur kosten möchte, auch dem Besitzer fast mehr schädlich als zuträglich, so ist er hierbei in keinen Anschlag gebracht."
Da sich kein Interessent findet, kann Heinrich 1680 den Besitz für die veranschlagte Taxe zurück erwerben (Quelle: Dorfchronik Angern).
Am 04.07.1689 überließ er seine Güter pachtweise seinen Söhnen Matthias Daniel und Joachim Ludolf, behielt jedoch Kehnert mit Cobbel für sich. Er zog sich auf das Gut in Kehnert zurück und setzte sich dort zur Ruhe.
KI coloriertes Bild von Heinrich XI
Erbteilung nach dem Tod Heinrichs
Am 4. Mai 1693 einigten sich die Söhne des verstorbenen Heinrich von der Schulenburg auf Angern, Schricke und Kähnern auf eine Teilung des väterlichen Besitzes. Dieser innerfamiliäre Vergleich, dokumentiert in einem handschriftlichen Archivvermerk, offenbart zentrale Mechanismen adliger Erb- und Besitzpolitik im späten 17. Jahrhundert.
Gemäß dem Vergleich wurden die drei Hauptgüter – Angern, Schricke und Kähnern – unter den ältesten Brüdern Matthias Daniel und Joachim Ludolff aufgeteilt, wobei ihnen gemeinschaftlich das Eigentum an den Gütern zugesprochen wurde. Die Zuordnung erfolgte jedoch in Form individueller Zuweisungen: Matthias Daniel erhielt Angern, Wendorf, Mahlwinkel sowie Leistungen aus Bülitz, während Joachim Ludwig die Güter Schricke und Kähnern mitsamt den zugehörigen Dörfern Bärsleben und Gobbel übernahm. Damit verbunden war auch die Verpflichtung, der verwitweten Mutter Wohnrecht auf einem der Güter einzuräumen – eine gängige Form der Versorgungsregelung für adlige Witwen.
Ein weiterer Bestandteil der Vereinbarung war die Übernahme von Lehnschulden, insbesondere gegenüber den drei Schwestern, deren Ansprüche durch Kapital- und Zinszahlungen ausgeglichen werden sollten. Solche Ausgleichszahlungen an weibliche Familienmitglieder waren eine übliche Praxis, um die Integrität des Landbesitzes zu wahren, ohne eine Realteilung mit weitreichenden Folgen für die wirtschaftliche Tragfähigkeit der Höfe zu riskieren. Nach Abzug der Schulden verblieb ein Betrag von 19.107 Talern und 11 Groschen, der in sechs gleiche Anteile zu je 3.484 Talern und 14 Groschen für die überlebenden Brüder aufgeteilt wurde. In heutiger Kaufkraft entsprach die Gesamtsumme einem Wert von rund 1,2 bis 1,5 Millionen Euro, womit sich pro Erbteil ein Betrag von etwa 200.000 bis 250.000 Euro ergibt. Die Aufteilung belegt nicht nur die erhebliche Vermögenssubstanz der Familie, sondern verweist auch auf die Bedeutung des Barvermögens im Kontext frühneuzeitlicher adliger Erbteilungen. Der Vertrag regelte außerdem, dass auch die Kinder eines verstorbenen Bruders ihren Anteil sukzessive erhalten sollten – eine Bestimmung, die auf die ratierliche Verteilung im Sinne der Primogenitur oder einer abgestuften Erbfolge verweist.
Dieser Teilungsvertrag aus Angern ist ein aufschlussreiches Beispiel für die pragmatische und zugleich traditionsgebundene Erbpolitik im brandenburgischen Adel der Frühen Neuzeit. Die Kombination aus Besitzkonsolidierung (über zwei Brüder), Versorgung von Müttern und Schwestern sowie finanzieller Ausgleichsmechanismen zugunsten weiterer männlicher Linien zeigt eine ausgeklügelte Strategie zur Sicherung familiärer Kontinuität unter Erhalt der sozialen Stellung (Quelle: Johann Friedrich Danneil: Geschichte des Geschlechts von der Schulenburg, Bd. 2, Salzwedel 1847, Nr. 31, S. 1693.)
Diese wirtschaftlichen Regelungen und Erziehungsmaßnahmen sind Teil eines größeren Prozesses, der die Transformation von Brandenburg‑Preußen markiert. In einer Epoche, in der der Staat seine administrativen Strukturen zentralisierte und sich von den mittelalterlichen Lehnsverhältnissen löste, mussten auch die Adelsfamilien innovative Wege finden, um ihr Erbe zu sichern.